Metainformationen zur Seite
Das Ich als Marke im Netz - Unterrichtsideen zur Netzidentität
Nahezu jeder von uns ist im Internet präsent, auch diejenigen, die sich den digitalen Medien verweigern. Der wohl bekannteste Messenger WhatsApp teilt bei der Erstanmeldung die lokale Telefonliste des jeweiligen Handys mit den Servern von Facebook. Schüler:innen schreiben auf Bewertungsportalen Rückmeldungen zu Lehrkräften und nehmen keine Rücksicht darauf, ob diese Lehrkraft seine Arbeitsblätter noch im Matrizenverfahren erstellt, um sich aus dem Internet herauszuhalten. Wir begleichen Rechnungen mit elektronischen Zahlungsmitteln, nutzen Rabattkarten oder sind Mitglied im ADAC – über jeden von uns sind Daten im Umlauf, die etwas über uns erzählen, ob wir wollen oder nicht.
Kristian Köhntopp, Mitbegründer der Programmiersprache PHP, ehemaliger Securityspezialist bei web.de, ehemaliger Betreuer der Datenbankserver von bookings.com, momentan angestellt bei Syseleven beschreibt seine Reaktion auf diese Umstände im Jahre 2009 folgendermaßen :
„Was ich mit meinem Blog und allen meinen anderen Veröffentlichungen mache, ist eine Marke ‚Kristian Köhntopp‘ zu bauen. Es ist unvermeidlich, daß ich unter meinem Namen eine Datenspur in dieser Welt hinterlasse – ich brauche nicht anzutreten um zu versuchen, diese zu verstecken. Was ich aber tun kann ist zu versuchen, diese Spur zu ownen, also die Inhalte die eine Suche nach meinem Namen zu Tage fördert mehr oder weniger zu kontrollieren und das Image zu bestimmen, daß durch die Suche nach meinem Namen produziert wird. Das ist natürlich nichts anderes als klassisches Marketing auf mich als Privatperson und meinen Datenschatten übertragen. Damit wird natürlich jede Aktion von mir im Netz zu einer Publikation, die auf mein Image und meine Marke wirkt und sie entweder aufbaut, beschädigt oder verändert. Ich denke auch, daß ist den Digital Natives unter uns klar und das ist ein gutes Teil dessen, was uns von den Digital Immigrants unterscheidet: Wir wissen das, wir haben das akzeptiert und wir leben das. Wir sind im Netz zu gleichen Teilen Person, Projektion und Publikation – kein authentisches Gesamt-Kunstwerk.“
Bezeichnenderweise steht der Originalartikel gar nicht mehr zur Verfügung, sondern ist nur noch über spezielle Suchmaschinen wie WayBackMachine1) zu finden, die Momentaufnahmen von Webseiten erstellen. Als ich Herr Köhntopp auf Google+ (auch bereits Geschichte) um die Erlaubnis zur Verwendung des Textes bat, hatte er nichts dagegen, war aber verwundert, dass so ein alter Text noch zum Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit werden sollte und dass der Text immer noch Teil seiner Datenspur war.
Kern seiner Botschaft: Es gibt nur wenige Daten, bei denen wir bestimmen können, in welchem Umfang sie ins Netz gelangen, weil es Dritte sind, die z.B. durch die schlichte Wahl eines Messengers diese zu einem Anbieter übertragen. Wenn wir im Netz nicht ganz bewusst eine eigene Identität aufbauen und kultivieren, werden es Daten von Dritten sein, die unser Bild für andere in der Öffentlichkeit bestimmen.
Wenn unsere internetscheue, matrizenproduzierende Lehrkraft also allein auf die leicht auffindbare die Bewertung bei spickmich.de reduziert bleibt, ist das ein wirklichkeitsverzerrender Umstand.
Gleichzeitig ist es aber eine Realität mit einer gesellschaftlichen Dimension – sollen wir als Bürger dieses Staates nun alle gezwungen sein, uns und unser Bild im Internet zu vermarkten, um einer Bewertung durch Algorithmen „zuvorzukommen“? Und ist das überhaupt möglich?
Eine solches Themengebiet mit seinem hohen Abstraktionsgrad ist unterrichtlich nur ab Klassenstufe 9 sinnvoll aufgehoben.
Idee 1 - Was fremdbestimmte Wahrnehmung mit uns?
Diese Übung vermittelt eine Idee davon, wie Algorithmik im Netz in Ansätzen(!) funktioniert: Aufgrund bestimmter Merkmale werden allgemeingültige Aussagen über ein Individuum auf Basis von Wahrscheinlichkeiten berechnet. Die Datensätze werden umso treffsicherer sein, je mehr Daten zur Berechnung hinzugezogen werden können. Der Rückkoppelungskanals eines Plenums fehlt im Netz.
Benötigt wird das folgende Material:
- DINA3-Tonkarton
- dicke Filz-, Bunt- oder Wachsmalstifte
- 10 DINA4-Tonkartonbögen mit Prozentangaben in 10er-Schritten
- ggf. Fotokamera, Tablet oder Handy mit Fotofunktion
Jedes Lerngruppenmitglied setzt folgende Aufgaben auf seinem DINA3-Tonkarton um. Es darf nicht der eigene Name auftauchen. Im gesamten Spielverlauf darf nicht preisgegeben werden, welcher DINA3-Bogen von wem stammt. Maximal steht eine Zeit von 10 Minuten zur Verfügung.
- Male eine Sonne.
- Gestalte das Wort „Liebe“.
- Zeichne ein komplexes geometrisches Muster
- Notiere die größte dir bekannte Primzahl
- Notiere die Zeit in Minuten, die du zur Lösung der ersten vier Aufgaben benötigt hast
In einem leergeräumten Raum wird mit den 10 DINA4-Bögen eine Skala von 0–100% auf dem Boden ausgelegt. Die Tonpapierbögen der einzelnen Lerngruppenmitglieder werden gut gemischt.
Die Mädchen der Lerngruppe ordnen nun die einzelnen DINA3-Bögen auf der Skala im Raum nach einen gegebenen Kriterium an. Mögliche Kriterien könnten sein: „weiblich, fleißig, Kopfmensch, technisch begabt, zuverlässig, effizient“.
Bsp. Für das Kriterium „weiblich“: Die Mädchen legen jeden einzelnen DINA3-Bogen an einen ihnen geeignet erscheinenden Ort auf die Skala „Dieser Bogen stammt 80%ig von einem Mädchen!“.
Die Jungen schauen sich das Ergebnis an und kommentieren ihre Eindrücke, vermeiden jedoch, ihren eigenen Bogen „offenzulegen“.
Danach können die Jungen entweder eine eigene Skala zum gleichen Kriterium entwickeln oder zu einem neuen.
Jeder aus der Lerngruppe wird sich zeitweilig ungerecht oder stereotyp eingeschätzt fühlen, gleichwohl findet eine derartige Kategorisierung im Netz in Abhängigkeit von der jeweiligen Selbstdarstellung ständig statt.
Man könnte im Computerraum oder mit Mobilgeräten Facebookprofile oder YouTube-Channels daraufhin überprüfen, inwieweit eine positive Selbstdarstellung der Urheber gelungen ist (Likes, Kommentare) oder nicht und ggf. Kriterien ermitteln / entwickeln.
Idee 2 - Eine fremde Person vorstellen
Diese Übung vermittelt eine Idee davon, was Netzidentität bedeutet. Ich führe sie gerne in Kontexten durch, in denen ich nicht bekannt bin, d.h. ich lasse z.B. die Zuhörer bei einem Vortrag meine Person auf Basis der Daten beschreiben, die sie innerhalb von fünf Minuten mit ihrem Smartphone über mich gewinnen können. Die Übung eignet sich für Vertretungsstunden in mir unbekannten Lerngruppen. Dabei bietet sich die Gruppenarbeit als Sozialform an. An Material wird benötigt:
- Smartphones (eigene Geräte der Schüler*innen) mit Internetzugang (Provider oder WLAN der Schule).
- Liste mit Namen, von denen Steckbriefe erstellt werden sollen (z.B. Bettina Wulff, Sascha Lobo, Philippe Wampfler, ggf. politische Persönlichkeiten aus der Schule / der Region)
- Tonkarton, dicke Filz-, Bunt- oder Wachsmalstifte
Die Lerngruppen Mitglieder recherchieren jetzt die Ihnen zugewiesenen Personen im Internet und stellen sie im Anschluss im Plenum vor.
Nach Vorstellung aller Personen kann die Recherche mit einer Person aus dem näheren Umfeld wiederholt werden. Dabei wird eine Diskrepanz zwischen der Darstellung der Person im Netz und dem Wissen der Schülerinnen und Schüler über die Person durch persönlichen Kontakt auffallen. Dieser Punkt kann diskutiert werden – mögliche Leitfragen:
- Warum stellen sich Personen im Netz anders dar als „sie sind“?
- Welche Informationen findet man von Prominenten nicht im Netz und warum?
- Wie verlässlich sind Selbstdarstellungen?