Vorbemerkung

Das folgende Unterrichtsbeispiel braucht etwas mehr Raum, weil der zugehörige Kompetenzbereich mit schulischen Grundstrukturen bricht. Es kratzt daher ganz bewusst nur an den zur Verfügung stehenden Potentialen, vermag ggf. aber eine Ahnung zu vermitteln, worum es gehen könnte und wie einzelne Entwicklungsstufen aussehen könnten.

Vorstellung des Tools

Den technischen Rahmen bildet eine Blogsoftware. Das ist eine Software, die im Internet läuft und anders als der Name „Blog“ vermuten lässt, ist es viel mehr als ein Tagebuch.

Auf fast jedem günstigen Webspace lässt sich z.B. das populäre Wordpress einfach per Klick installieren und heute dank LetsEncrypt auch gleich kostenlos verschlüsselt aufrufen.

Für erste Versuche eignet sich wordpress.com - allerdings sollte man hier unbedingt nur mit Pseudonymen der Schülerinnen und Schüler arbeiten und den Blog auf „privat“ stellen.

Einige Lernmanagementsysteme wie Moodle oder itslearning haben darüber einfache Blogfunktionen integriert, die für den Anfang meist ausreichend sind. Vielleicht verfügt Ihre Schule bereits über eine derartige Plattform. In einem Blogsystem kann man mit einem einfachen Editor Texte gestalten, mit Multimediaelementen (z.B. YouTube-Videos) versehen. Die Texte lassen sich verschlagworten und getrennt nach dem jeweiligen Autor systematisieren.

Weitere Vorteile:

  • alle Inhalte werden in einem Browser erstellt und dargestellt. Man benötigt keine weitere Software und ist damit sogar unabhängig von einer bestimmten Plattform.
  • Texte lassen sich online querlesen und sind zeit- und ortsunabhängig verfügbar
  • Blogs sind durch sogenannte Plugins erweiterbar, z.B. sorgt bei mir immer eine Erweiterung dafür, dass das Blog nie öffentlich sichtbar ist, sondern nur für die Lerngruppe selbst.
  • Inhalte sind auf einem Blog unglaublich einfach zu organisieren, z.B. durch Verschlagwortung oder Kategorisierung – auch nachträglich.
  • Jeder Text kann von anderen kommentiert werden (jedoch nicht annotiert)
  • Im Laufe des Jahres entsteht mit allen Texten eines Autors automatisch ein Portfolio.

Einsatzmöglichkeit 1 – noch keine Kollaboration

Schülerinnen und Schüler schreiben längere Hausaufgaben direkt ins Blogsystem. Das kommt bei mir im Schuljahr etwa fünf bis sieben Mal vor – ansonsten arbeite ich natürlich noch „klassisch“ - gerade mit Rücksicht darauf, dass die meisten Prüfungen immer noch handschriftlich auf Papier durchgeführt werden.

Änderungen gegenüber klassischen „Schulheft-Arrangements“:

  • mir liegen die Texte meist schon einen Tag für die Unterrichtsvorbereitung vor. Ich kann gezielter Texte für die Präsentation auswählen bzw. Defizite und Stärken den Lerngruppe identifizieren. Ich kaufe nicht wie bei der klassischen Hausaufgabenpräsentation „die Katze im Sack“.
  • Auch bei „stillen“ Schülerinnen und Schülern entsteht über das Jahr ein Portfolio, was zur Bewertung der „sonstigen Leistungen“ mit herangezogen werden kann.
  • Habe ich im Klassenraum eine Präsentationsmöglichkeit, z.B. ein interaktives Tafelsystem, ein entsprechend großes Display oder einen fest installierten Beamer, kann ich die Texte unaufwändig mehrkanalig präsentieren.

Einsatzmöglichkeit 2 – eine zarte Kollaboration

Die Schülertexte werden im Blog von Mitschülern kommentiert. Das klappt nur, wenn die Bewertungskriterien durch den Unterricht klar sind und wenn ebenso die Kriterien eines hilfreichen Kommentars besprochen wurden. Es muss zudem organisiert werden, dass jeder Text mehrere Kommentare von unterschiedlich leistungsstarken Schülerinnen und Schülern erhalten. Ich bilde dazu „Kommentarteams“, deren Zusammensetzung von mir bestimmt wird.

Änderungen gegenüber klassischen „Schulheft-Arrangements“:

  • Jeder Text wird in irgendeiner Form gewürdigt. Das ist im Unterricht zwar auch denkbar, z.B. in Form einer Lesekonferenz, braucht aber weitaus weniger Zeit und ist zudem zeit- und ortsunabhängig z.B. als Hausaufgabe möglich.
  • Gemeinsam mit der Klasse kann über die Kommentarkultur reflektiert werden: Was macht eine gute und hilfreiche Rückmeldung aus?
  • Es ist nicht ausgeschlossen, dass Schülerinnen und Schüler aus den Beispielen anderer Texte vor Klassenarbeiten lernen – zeit- und ortsunabhängig.

Einsatzmöglichkeit 3 – eine erste simulierte Kollaboration

Benötigt wird eine Aufgabe, die sich arbeitsteilig erledigen lässt. Als Beispiel dienen hier die rhetorischen Stilfiguren im Deutschunterricht. Es könnte auch ein beliebiges anderes Thema sein. Letztlich läuft es bei den rhetorischen Stilfiguren immer darauf hinaus, dass die SuS einen Zettel mit den wichtigsten von ihnen in den Händen halten, die es dann auf dem weiteren „Deutschlebensweg“ mehr oder minder zu beherrschen gilt – sie so richtig systematisch immer wieder im Unterricht vorkommen zu lassen, habe ich noch nicht hinbekommen. Die Schülerinnen und Schüler bekommen eine beliebige rhetorische Stilfigur zugewiesen und erhalten folgende Aufgabe:

Schreibe zu dem dir zugewiesenen Begriff eine Erklärung als Blogartikel, die mindestens zwei konkrete Beispiele enthalten sollte und nicht aus dem Netz „abgeschrieben“ bzw. „abkopiert“ sein darf. Wikipedia als Quelle reicht nicht aus. Du musst mindestens drei verschiedene Links als Quelle angeben. Versehe deinen Text mit aussagekräftigen Schlagworten.

Schön wäre es, wenn du als Beispiel je eines aus der Literatur und eines aus der heutigen Zeit findest/nennst – denke z.B. an Werbesprüche oder Sprichworte.

Bsp.: Alliteration, die Mindestens zwei Worte in unmittelbarer Nachbarschaft beginnen mit dem gleichen Anlaut:

1. Bsp.: Zähne zeigt und Zunge (aus: „Das Karussell“ – Rainer Marias Rilke)

2. Bsp.: bei Wind und Wetter (gängige Alltagswendung)

Man bezeichnet die Alliteration auch als Stabreim.

Man erhält direkt weiterverarbeitbare Blogeinträge zu rhetorischen Stilfiguren, die sich im Anschluss reflektieren und digital überarbeiten lassen. Da die gesamte Lerngruppe zeitgleich auf der selben Plattform agiert, geschieht das sehr schnell. Die Einträge können dann immer wieder im späteren Unterrichtsverlauf, z.B. mit dem Smartphone nachgeschlagen werden. Genau wie sich ein Wikipediartikel weiterentwickelt, kann ich auch diese Texte als Grundlage für die Folgejahre verwenden.

Einsatzmöglichkeit 4 – das eigenständige Projekt

Während die bisherigen Einsatzmöglichkeiten ausschließlich in einem geschützten Unterrichtsblog stattfanden, welches gemeinschaftlich gestaltet und befüllt wurde, ist es natürlich mit Blogsystemen auch möglich, dass Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen jeweils selbst ein Blog öffentlich zu einem unterrichtlichen oder selbstgewählten Themenkomplex gestalten. Diese Aufgabe ist sehr komplex, da eine Reihe von Kompetenzen und Wissenbeständen hier mit miteinfließen, z.B.

  • Urheberrecht (bei der Verwendung von Text-, Video-, Bild- und Tonmaterial)
  • Anwenderkenntnisse bezogen auf die Bedienung des Blogs und seine grafische Gestaltung
  • inhaltliche Kenntnisse bezogen auf das Themengebiet
  • Aspekte des Datenschutzes z.B. bei der Verwendung von eigenen Fotos
  • Qualitätskontrolle der Inhalte

[…]

Im Gegensatz zu vielen explorativen Kolleginnen und Kollegen im Netz halte ich es in diesem Umfeld für verantwortungslos, Schülerinnen und Schüler „einfach mal machen zu lassen“. Das will gut begleitet sein, vor allem auch damit der „Mehrwert“ gegenüber der klassischen Arbeit im Heft erkennbar ist.

Exkurs

Der Mehrwert entsteht für mich erst durch Rückmeldungen, die so motivierend sind, dass sie den Verbesserungs- und Überarbeitungsprozess anzutreiben vermögen. Deswegen versauern m.E. nach einer ersten euphorischen Anfangsphase so viele Schülerblogs. Ich selbst blogge u.a. deswegen, weil dabei ideeller Lohn herausspringt – im einfachsten Fall sind das Zugriffszahlen, die ansteigen, im besten Diskussionen, die sich um meine Gedanken herum durch Kommentare entwickeln.

Das ist bei Schülerprodukten schwierig – es gibt Ausnahmen, die sehr gut laufen und sich hervorragend entwickeln – Schule bedeutet für mich jedoch die Integration möglichst vieler Menschen – schwache Leistungen in der Schule, oft schwache Leistungen im Blog oder Randdasein in der „Blogarbeitsgruppe“ – das sind aber dann oft soziale Herausforderungen.

Als Lehrperson muss ich mir also bei Blogs auch Gedanken dazu machen, wie ich den Rezeptionsprozess organisiere, um die positive Erfahrung des Gelesenwerdens zu ermöglichen. Klassenpartnerschaften über Bundeslandgrenzen hinweg wären für mich eine mögliche Lösung, oder gar mit anderen Ländern im Rahmen von Eramus(+)projekten.

Nur wenn es gelingt, gleichzeitig mit Blogs auch Formen von Rezeption einzuüben bzw. dann zu organisieren, nur dann sehe ich in Blogs einen echten Mehrwert zu physischen, produktionsorientierten Formen wie z.B. dem guten, alten Plakat. Auch das Argument der Portabilität digitaler Produkte greift für mich dann kaum: Was nicht gelesen wird, wird auch nicht kopiert/portiert und die verlustfreie Kopie ist ein zentrales Wesensmerkmal des Digitalen.

Ob ich ein Plakat, ein Modell, eine Folie wegschmeiße oder in Blog, ein Wiki versauern lasse, dürfte für die Motivation von Schülerinnen und Schülern kaum einen Unterschied machen.